Ein Gespräch mit Dietmar Schmidt über seinen Band 4 der PERRY RHODAN-Miniserie ATLANTIS 2.
Alexandra Trinley: Dietmar, deinen wievielten Roman für eine PERRY RHODAN-Miniserie haben wir hier?
Dietmar Schmidt: Den zwölften. Das Dutzend ist damit voll.
AT: Der Titel »Verkünder der Superintelligenz« bezeichnet wen?
DS: Perry Rhodan fungiert in PERRY RHODAN-Atlantis 2 als Verkünder von Seth-Apophis. Seth-Apophis ist eine Superintelligenz, die aus dem Zyklus der Erstauflage nach Band 1000 eine Hauptrolle spielt – aber als Gegenspieler. In der 2. ATLANTIS-Miniserie ist Rhodan nun ihr Verkünder. Das war die große Überraschung am Ende des ersten Bandes. In der Erstauflage war Seth-Apophis eine negative Superintelligenz, die andere Spezies psychisch dominierte und manipulierte. Rhodan handelte im Auftrag von ES, einer anderen Superintelligenz, besiegte Seth-Apophis und leitete eine »Devolution« ein, eine Rückentwicklung zu dem Wesen, aus dem sie entstanden war. Als sich zeigte, dass Seth-Apophis wieder in die alten Verhaltensmuster verfiel und erneut versuchte, andere Spezies mental zu beeinflussen, entschied sich Rhodan, sie zu vernichten.
In ATLANTIS 2 haben wir eine ganz andere Konstellation vorliegen: ES wurde besiegt und von Seth-Apophis absorbiert, die dadurch zu einer positiven Superintelligenz geworden ist. Sie beherrscht die Lokale Galaxiengruppe, und die Spezies dort haben eine positive, beachtenswerte Zivilisation geschaffen – in der nur die Menschheit keine tragende Rolle mehr spielt.
AT: Wie ist die Vorgeschichte?
DS: Die negative Superintelligenz entpuppt sich in Band 10 der ersten ATLANTIS-Miniserie als die Drahtzieherin, die die Proto-Nekrophore in die Milchstraße bringen ließ. Die Proto-Nekrophore ist ein Erzeugnis überlegener Technik und kann eine Krankheit freisetzen, die Nukleotide Pest, durch die der gesamte Spiralarm der Milchstraße entvölkert werden soll. Seth-Apophis’ Plan ist in der ursprünglichen Zeitlinie gescheitert, aber die Ereignisse der ersten Miniserie machten eine Zeitkorrektur erforderlich, damit es nicht zu dieser Katastrophe kommt. Durch diese Zeitkorrektur entstand die sogenannte »Tangente«, in der die Verhältnisse eintraten, auf denen die zweite ATLANTIS-Miniserie beruht: eine Welt, die sich von der Welt der Erstauflage stark unterscheidet.
AT: Wie ist Rhodans konkreter Konflikt in diesem Roman?
DS: Wie bereits erwähnt, ist die Zivilisation, die Rhodan in diesem Alternativuniversum vorgefunden hat, nichts Schlechtes – im Gegenteil: Das Kol-Manische Korrelat ist eine moderne Gesellschaft, das seinen Mitgliedern große individuelle Freiheiten gewährt. Tyler Rhodan, der Sohn der Atlanterin Caysey, kennt nichts anderes als die »Tangente«. Rhodan setzt alles daran, die alte Zeitlinie wiederherzustellen, aus der er gekommen ist, aber er muss anerkennen, dass die alternative Zeitlinie ihre Vorzüge hat. Im Laufe der Handlung findet er heraus, dass es sich ein wenig anders verhält: Er hat es in Wirklichkeit mit zwei parallelen Universen zu tun, und das ursprüngliche Universum setzt an, das neue zu zerstören. An seinem grundlegenden Dilemma ändert es nichts: Kann er hinnehmen, dass Aberbillionen Individuen das Leben verlieren?
AT: Und was will das Korrelat?
DS: Darüber kann ich nicht viel sagen, denn erst in den Folgebänden werden wir das Korrelat näher kennenlernen. Daher nur so viel: Das Kol-Manische Korrelat ist in erster Linie eine Handelsföderation, die ihre Mitglieder durch wirtschaftliche Interessen aneinanderbindet – so wie es in der ursprünglichen Zeitlinie die Kosmische Hanse lange versucht hat. Wie es scheint, waren die Bemühungen des Korrelats von größerem Erfolg gekrönt.
AT: Tyler trägt Rhodans Namen, ohne sein Sohn zu sein. Haben die beiden trotzdem einen Vater-Sohn-Konflikt?
DS: Das ist eine schwierige Frage. Rhodan wäre auf jeden Fall ein abwesender Vater. Er ist ja ständig im Auftrag der Superintelligenz in der Galaxis unterwegs. Ich bezweifle auch sehr, dass sich Rhodan in diesem Maß in die familiäre Beziehung zwischen Caysey, Rowena und Tyler einmischen würde. Er wäre eher ein Onkel, der die drei ab und zu besucht.
AT: Wie funktioniert Tylers und Dantes Freundschaft?
DS: Tyler bewundert Dante. Dieser ist ein Jahr älter, aber er nimmt ihn wahr, und das macht Tyler stolz. Dante ist für ihn ein Vorbild. Dante wiederum sieht ihn wie einen kleinen Bruder. Er empfindet für ihn ein starkes Verantwortungsgefühl, aber leider erst, nachdem er Tyler durch eine unüberlegte Aktion in Schwierigkeiten gebracht hat.
AT: Tylers Name wird erklärt – Rhodan wählte einen aus seiner Jugend. Dante wiederum hat einen großen literarischen Namensvetter. Mit Absicht?
DS: Diese Frage wirst du Ben Calvin Hary stellen müssen.
AT: Ihr lasst die beiden Jugendsprache reden. Habt ihr die an realen Jugendlichen ausprobiert?
DS: Ich jedenfalls nicht.
AT: Gibt es in dem Roman Begriffe, die auf dich zurückgehen?
DS: Ich habe einen anderen Begriff für Formenergie eingebracht: Enerstat. Dabei handelt es sich um Hyperenergie, die sich wie Materie manifestiert, also angefasst werden kann. Man kann Formenergie jedoch jederzeit wieder verschwinden lassen.
AT: Konntest du deinen Hintergrund als Chemiker einbringen?
DS: In diesem Roman bot sich dafür keine Gelegenheit. Rhodan und sein Team befinden sich in einer unwirklichen »Interferenz«, in der sich altes und neues Universum überlappen, Dante in einem Raumschiff. Ich muss allerdings auch keine Chemie einbringen können, um Freude daran zu haben, einen Roman zu schreiben.
AT: Und die Recherche? Bei TERMINUS warst du doch der Recherche-Mann, nicht wahr? Diesmal auch? Weil der Roman viele Rückgriffe auf die Perryversum-Vergangenheiten hat.
DS: Der Recherche-Mann in den Miniserien ist wie bei PERRY RHODAN NEO Peter Dachgruber. Bei TERMINUS haben wir seinerzeit die Aufgaben ein wenig verteilt. Weil ich einen Roman schreiben sollte, der im Imperium Dabrifa angesiedelt war, habe ich mich intensiv mit diesem Sternenstaat befasst. So viel Vorlauf hatten wir bei späteren Miniserien allerdings nicht mehr. Im Fall von ATLANTIS 2 hat Ben uns eine umfassende Sammlung aus Hintergrundmaterial und Datenblättern vorgelegt, mit denen wir gleich loslegen konnten. Für die Rückgriffe in die Serienhandlung habe ich mal wieder ausgiebig die Perrypedia genutzt, die ausgezeichnete Datenbank im Internet, und die Volltextsuche, die in den E-Book-Ausgaben der alten Hefte zur Verfügung steht.
AT: Der Mausbiber Kicko hat bei dir keinen Auftritt. Hast du das bedauert?
DS: Ein bisschen schon. Aber man kann eben nicht alles haben.
AT: Das Titelbild ist ein wenig extrem. Wen stellt es dar?
DS: Den Kol Mani Koomal Dom, einen Ritter der Tiefe. Er ist eine zentrale Gestalt in dem Roman und der ganzen Miniserie, ein Gegenspieler für Perry Rhodan, aber auch ein Spiegelbild, denn in der ursprünglichen Zeitlinie ist Rhodan ebenfalls Ritter der Tiefe gewesen. Und wie man in dem Roman erfährt, verbindet die beiden Figuren noch mehr. Doch das will ich an dieser Stelle nicht verraten.
AT: Wie viel Einfluss hattest du auf seine Gestaltung?
DS: Das Aussehen Koomal Doms ist von Ben in den Datenblättern festgelegt worden. Ich habe zwar den Vorschlag gemacht, ihn auf dem Titelbild zu zeigen, aber es liegt natürlich bei Dirk Schulz, wie er Bens Vorgaben umsetzt. Ich finde aber, er hat den Ritter der Tiefe gut getroffen.
AT: Was für eine konkrete Wirkung hat es, dass Koomal Dom ein Ritter der Tiefe ist? Und ist sein Name eine Anspielung auf den Dom Kesdschan?
DS: Eine Anspielung? Soweit ich weiß, nein, aber auch mit dieser Frage wendest du dich besser an den Exposéautor. Und was die Wirkungen von Koomal Dom betrifft, stehen wir noch zu sehr am Anfang der Miniserie, um uns darüber zu unterhalten.
AT: Zellaktivatoren heißen jetzt wohl Vitalenergiespeicher. Du verwendest beides. Fühlt sich der bisherige Begriff altmodisch an?
DS: Für mich nicht. Vitalenergiespeicher ist jedoch der Begriff, der von Koomal Dom benutzt wird. Rhodan nennt sie meist weiter Zellaktivator. Das neue Universum benutzt nicht nur hier bewusst eine andere Terminologie als die Hauptserie.
AT: Die Zellaktivatorszene wurde aus zwei Perspektiven erzählt: Im Vorgängerroman von Roman Schleifer, und jetzt von dir aus Rhodans Perspektive, was seinen mysteriösen Gesinnungswandel erklärt. Wie seid ihr bei der Zusammenarbeit vorgegangen?
DS: Roman hatte sein Exposé naturgemäß früher erhalten als ich. Außerdem verzögerte sich bei mir der Schreibbeginn um einiges, und Roman war schon recht weit mit seinem Manuskript, als ich mit der Arbeit anfangen konnte. Er hat mir die entsprechenden Szenen geschickt, dann haben wir darüber telefoniert und gechattet. Am Ende wurde ein bisschen umgebaut, und die Schilderungen nahmen ihre endgültige Gestalt an.
AT: ATLANTIS 2 hat eine umfangreiche Topographie. War es schwer, da Fehler zu vermeiden?
DS: Tja, Fehler kommen immer wieder vor. Ich bezweifle, dass es nirgendwo Widersprüche gibt. Andererseits, weder Sichu Dorksteiger noch Perry Rhodan haben ein eidetisches Gedächtnis wie Atlan oder Sheldon Cooper. Wenn zwei Personen heute über das gleiche, acht Jahre zurückliegende Ereignis sprechen, wird es immer zwei Versionen geben; der »unzuverlässige Erzähler« ist oft ein Ich-Erzähler. Aber diesen Aspekt wollen wir auch nicht überstrapazieren.
AT: Atlan kommt in gedoppelter Form vor. Er hat in der Tangente – der Parallelwirklichkeit, in die es unsere Helden verschlagen hat – keinen Zellaktivator. Wie ist dein Bezug zur Figur, wie fühlte sich das Schreiben am veränderten Atlan an?
DS: Er ist im Grunde der gleiche Atlan wie in ATLANTIS 1 und in den Rückblenden in PR 60 und 70. Er ist gealtert, aber die Jahrtausende hat er anders als der Atlan der Erstauflage durchgehend im Tiefschlaf verbracht. Er ist nicht immer wieder aufgeweckt worden und hat nicht bei geschichtlichen Wendepunkten auf der Erde mitgemischt wie der Atlan der ursprünglichen Zeitlinie. Ich hatte in ATLANTIS 1 Band 6 das Vergnügen, diesen alten Arkonidenadmiral zu schildern, und es war mir nun eine Freude, ihn aus Dantes Perspektive zu schildern, der gar nicht genau weiß, wen er da vor sich hat, und keinerlei Ehrfurcht empfindet.
AT: Sprechen wir über Sichu. Ist sie für dich eher Soldatin oder eher Wissenschaftlerin?
DS: Sichu ist für mich eine janusköpfige Gestalt. Sie kann beides sein, je nachdem, was die Situation erfordert. Standardmäßig agiert sie aber schon eher als Wissenschaftlerin. Ich denke, dass sie in dieser Rolle ihr Zuhause gefunden hat.
AT: Deine Beschreibungen der Kol Mani sind recht umfangreich. Gesichter ohne Mimik. Ich frage mich, wie das evolutionär funktioniert hat. Wozu die große Fläche, wenn sie keiner Verständigung dient?
DS: Die Frage solltest du Ben stellen, der die Spezies entwickelt hat.
AT: Wer ist dir sympathischer: Rowena oder Caysey?
DS: Eindeutig Rowena. Sie ist zwar impulsiv und neigt ein bisschen zur Überreaktion, aber sie ist energisch und tatkräftig und denkt unabhängig. Caysey hat ebenfalls ihren eigenen Kopf, ist von beiden mit Abstand die Nettere und hat Entwicklungspotenzial, doch Rowena hat mir immer sehr gut gefallen, seit Michelle Stern in ATLANTIS 1 Band 5 ihren Werdegang geschildert hat.
AT: Rhodan wird bei dir immer wieder mit den Schattenseiten vergangener Entscheidungen konfrontiert. Mich nervt so was ja als lähmende Bedenkenträgerei, von der wir in realiter schon genug haben. Siehst du das positiver?
DS: Diese Konfrontationen sind nichts anderes als Versuche Koomal Doms, Rhodan zu manipulieren. Dom will unbedingt verhindern, dass Rhodan mit seinen Bemühungen die neue Zeitlinie zum Verschwinden bringt. Was du als »lähmende Bedenkenträgerei« betrachtest, soll Rhodan verunsichern – einen Mann, der sich so leicht nicht verunsichern lässt –, nach dem Prinzip, dass steter Tropfen den Stein höhlt. Er ist ja immerhin zwei Jahre mit Koomal Dom unterwegs, im Roman finden sich nur Schlaglichter.
Wieso erschießt Koomal Dom ihn nicht einfach und beseitigt so das Problem, könnte man fragen. Als Kol Mani wird Dom jedoch keine Gewalt anwenden, es sei denn, ihm bleibt wirklich keine andere Wahl. Wer weiß, zu welchen Mitteln er in Zukunft greifen wird, um Rhodan aufzuhalten?
AT: Seth-Apophis und ES. Wie stellst du dir eine Superintelligenz vor? Also, meine Idee wäre, dass man nicht nur die eigene Wahrnehmung hätte, sondern die vieler Bewusstseine, so dass man (ich sitze am Computer) dieses Zimmer sehen könnte, dazu andere, zugleich den Garten und den Wald, in dem man zugleich spazieren gehen könnte usw. Alles gleichzeitig. Du?
DS: Ich stelle mir etwas Ähnliches vor; eine Gleichzeitigkeit von Beobachtungen, die im Verstand zu einem Bild kombiniert werden, das ein größeres Ganzes zeigt, ohne dass man sich der Einzeleindrücke als diskrete Wahrnehmungen bewusst ist. So wie unseren Augen jeweils ein 2-D-Bild erfassen und ins Gehirn übertragen, wo beide, ohne dass wir es merken, zu einem 3-D-Bild kombiniert werden.
Jeder Mensch erfasst nur einen Ausschnitt der gesamten Wirklichkeit, sodass sich die Wahrnehmung des Gleichen durch zwei unterschiedliche Menschen unterscheidet. Eine Superintelligenz kombiniert vielleicht die Wahrnehmung von Milliarden Individuen zu einem Gesamtbild, das der Wirklichkeit erheblich näherkommt als alles, was Menschen sich überhaupt vorstellen können.
Sind Superintelligenzen dann in der Lage, die ganze Wirklichkeit zu erfassen? Ich glaube es nicht. Die höheren Stadien der kosmischen Evolution werden Superintelligenzen in ihrem »Weltblick« noch übertreffen. Die Wahrnehmung wird die unendlich komplexe Wirklichkeit trotzdem immer nur approximieren können, so wie man sich dem absoluten Nullpunkt der Temperatur zwar immer weiter annähern kann, ihn aber niemals erreichen wird. Vielleicht ist es sogar analog so, dass die Fortschritte immer kleiner werden, je weiter die kosmische Evolution voranschreitet. Das ist natürlich reine Spekulation von mir, ich weiß nicht, wie man es in der Erstauflage sieht.
AT: Auch der vierte Band von ATLANTIS 2 kommt mit einer Playliste von Songs. Welche davon liegen dir am meisten?
DS: Die Filmmusiktitel aus »Blade Runner« – ein Film, der mich fast so lange begleitet wie PERRY RHODAN – und aus »Anon«.
AT: Wirst du noch einen Band von ATLANTIS 2 schreiben?
DS: Nein, ich musste meinen zweiten Band aus terminlichen Gründen leider absagen.
AT: Schade. Aber danke für die Auskünfte.
DS: Ich danke für die inspirierenden Fragen.
Die Leseprobe findet ihr hier.