Eine Besprechung von Alexandra Trinley
Die Galaxis Orpleyd wird zur Sternengruft, zur Materiesenke, zum Ort der Lebensfeindlichkeit, der Aufhebung der Naturgesetze und zum Schauplatz billiardenfachen Todes.
KOSHs Transformationsprozess läuft weiter. Um ihn in Grenzen zu halten, um die unzähligen Flüchtlinge im Staubgürtel zu schützen und auch die Milchstraße selber, mit der es schnell zuende ginge, wenn es KOSH nicht gelänge, die Materiesenke, in die er sich transformiert, im Katoraum zu verstecken und den Deckel über sich zuzuschieben – den Schlussstein zu setzen, als der Gucky auserwählt wurde.
Dieser zweite Teil des Doppelromans zum Zyklusfinale beschreibt, unter welchen Bedingungen Gucky sein Leben behält und ein anderer die Milchstraße rettet, indem er der Schlusstein wird. Ein glücklicher Schlussstein. So wird das strudelnd in sich zusammenfallende Orpleyd zur Sternengruft und Titel und Bauart des Schlussromans zur Parabel auf den Zyklusabschlusses.
Aufgegriffen wird Anfang des Zyklus‘, zu dem Perry Rhodan tot war und im Seelenbanner mit nach Orpleyd flog, also das Thema von Tod und der Entwicklung der in Zeitlosigkeit und Illusion gespeicherten Bewusstseine in der Dante’schen Trichterwelt der sieben Tori. In denen gab es junge, ältere und uralte Bewusstseine, deren im Vorzyklus immer wieder thematisierte grenzenlose Qual von Verständnis abgelöst wurde: Perry Rhodan erfuhr die Geschichte der Tiuphoren, verstand ihre Motive, sah sie mit Verständnis. Attilar Leccore und Pey-Ceyan waren seine Begleiter, sie, weil sie ihm folgte, um ihm beizustehen und er, weil er als Gestaltwandler Identitätswandel und Identitätssuche durchlitt, um als Orakelpage Taxmapu mitzureisen und die Getöteten zu betreuen, mit ihnen zu sprechen, ihre Körper zu bewachen, bis er sie zurück ins Leben holen konnte.
Weiter geht es mit der bunten, skurrilen Bevölkerung der Flüchtlingshochburgen im Staubgürtel, die wir in den Romanen ums Aggregat viel zu kurz kennenlernten. Jetzt haben sie Zuwachs bekommen: Was immer in Orpleyd mobil ist, rettet sich vor dem drohenden Tod durch Schnitter und den Sog der entstehenden Materiesenke in den Staubgürtel – der nur bestehen bleibt, wenn Gucky oder eben ein anderer sich opfert, um Schlussstein zu werden, den Prozess in den Katoraum zu verlagern. Am Schluss leben sie, im Ring um den Ort der Verwüstung gelagert.
Die Tiuphoren und Gyanli, die wir aus so vielen Perspektiven kennenlernten, von außen und in ihrem Miteinander, sind am Schluss ebenfalls tot oder haben eine neue Funktion. Die Verbliebenen wurden Wächter des Ortes, als neuer Anführer der Tiuphoren beendet Attilar einen Konflikt zwischen den von überallher zusammengerufenen Flotten, inden er die »Epoche Ruf« beendet und die »Epoche Wacht« ausruft: Als Kordon um die entstandene Materiesenke, die geordnet und ohne Aufsehen entstand, bewachen sie den Ort des Übergangs. Denn da Gholdorodyn samt Kran zum Schlusstein wurde, ist der Verschluss latent offen. Sie haben eine neue Aufgabe.
Die unzähligen Bewusstseine in den Seelenbannern, im Catiuphat, flossen in KOSH, der immer schon – wie die Katz auf die kreiselnde Maus lauernd – ganz unten in den sieben Tori saß, wo Perry Rhodan ganz zu Beginn das Abbild der vereisten Galaxis erblickte, zu der sie reisten, in der sich alles zutrug. KOSH transformiert sich und die Maschinenwesen, die aus ihm entstanden. Die Pashukan vergehen in diesem Prozess, Nunadai wird beim Angriff auf die RAS TSCHUBAI bei der letzten Konferenz, die vor dem Zyklusfinale die Gegner zusammenführt, irreparabel beschädigt, Pushaitis verglüht, als der zweifelnde Gyanli Shydaurd die Konsequenzen aus seinem Betrogensein zieht und mit dem Namen seiner Frau die Selbstzerstörung des Schiffes auslöst, auf dem sie sich befinden. Und der Erfinder Gelcui ruft Rhodan ins Catiuphat und weist ihm den Weg zu Cadabbs Antenne und zurück ins Leben, in die Echtwelt. Wohin Rhodan ihn in Kristallform mitnimmt und Gucky gibt, der telepathisch mit ihm reden kann.
Im Schlussroman macht Uwe Anton die Prozesse des Kurzzyklus rückgängig, durch die genannten Vorgänge und durch die Rückführung des Terraners Rhodan zu sich selbst, zu dem, was im Leben wirklich zählt. Wieder geht Perry Rhodan ins Totenreich, wieder geht Attilar mit. Es geht in die tiefste Tiefe, wo Rhodan dank seiner verbliebenen Ritteraura hinkann, aber Leccore nicht. Sein Führer durch die leidvoll und unheimlich gezeichnete Geister- und Geisteswelt der Tori ist Gelcui, das älteste Bewusstsein, der sich damals, als KOSH begann, auf den selbst entwickelten Kristall speichern ließ, der zwischendrin warnte und nicht ausrichten konnte. Jetzt hat er die Orakel informiert vom Gegner im tiefsten Innern, was dazu führte, dass Attilar voll und ganz Tiuphore wurde und sogar deren Anführer. Womit der Gestaltwandler endlich sich selbst findet und hierdurch Pey-Ceyans Leben Sinn gibt, denn auch sie hat nichts mehr zu tun, sieht nun einen Mann, der ihr gefällt und der sie braucht und ist glücklich, ihm folgen zu können. Jetzt hat auch sie ihre Aufgabe.
Der »Sternengruft«-Zyklus war bisschen ein Superhelden-Zyklus durch die vielen Alleskönner, die jederzeit unvorhersehbare Gimmicks aus Tasche, Tentakel und Haarsträhne zaubern konnten: Durch Lua Virtanen, Sichu Dorksteiger, Gholdorodyn, die Wuutuloxo, dazu Telepathin Pey-Ceyan und Multimutant Gucky, den die Schwarzen Löcher mal blockierten, mal nicht, dazu noch Gestaltwandler Leccore, konnte die Handlung extrem schnell werden, doch auf Kosten von Vorhersehbarkeit und Logik. Grundsätzlich ging alles. Von den Alleskönnern sind Lua, Sichu und Gucky übriggeblieben. Das reicht völlig.
Alleskönner sind auch die Maschinen: die Superintelligenz KOSH mit seinen Pashukan und den Katophoren auf der einen Seite und die Posbis, Posmis und Semitronik ANANSI auf der anderen Seite, die eigenwillig wurden und Maschinenträume entwickelten, welche mit dem Willen ihrer Erbauer nichts mehr zu tun haben. Mit einer Maschinenfraktion geht es zuende, mit den Träumen der anderen wahrscheinlich nicht. Ich hoffe jedenfalls, dass nicht. Das Thema ist zu ergiebig, um es liegenzulassen.
Das willkürliche Aufheben von Gesetzmäßigkeiten, das den Zyklus transportierte und zugleich auch schwächte, erreicht seinen Höhepunkt im Catiuphat, der Welt ohne Körper und Zeitverlauf, in der alles geht, was man denkt. Wo man leidet, weil es nichts Festes mehr gibt, nur die eigenen Bewusstseinsinhalte. Jetzt steigt Rhodan ein letztes Mal ins Catiuphat, in dem Gedanken Wirklichkeit werden, wandert unter Gecuis Führung tiefer als irgendeiner und trifft die Antenne des Chaotarchen Cadabb, durch den dieser jenen Zugriff auf die entstehende Materiesenke erlangen würde, was Staubgürtel, Milchstraße und alle umliegenden Galaxien bedroht.
Eigentlich hätte Perry Rhodan keine Chance – wäre er nicht an einem Ort, an dem Gedanken echt werden. Er meistert diesen Prozess, benutzt diese Willkür. Als Haluter kämpft er gegen Cadabbs Antenne, schlägt den verlängerten Arm des Chaotarchen zurück, tötet die fünf Lebewesen der Antenne und rettet seine Welt. Dann kehrt er zurück, erleichtert und angewidert zugleich.
Erleichtert, denn Rhodan »hatte drei Jahrtausende damit verbracht, Gesetzmäßigkeiten zu verstehen. Die Gesetze des Kosmos, die metaphysischen der hohen Mächte, die physischen der Niederungen … Aber er kam nicht klar mit einer Welt, in der alles möglich war, wenn man sie verstand und beherrschte« und »ihm war nicht alles möglich. Bei Weitem nicht. Er war ein Mensch, mehr nicht. […] Ein Mensch, der seine Grenzen kannte«. Er ist ein kosmischer Mensch, war beim Untergang Orpleyds vom kosmischen Geschehens fasziniert, doch diese Art Kosmisches hält ihn nicht mehr, das ist vorbei. Er ist wieder Mensch.
Angewidert zu sein ist bei ihm eine Rückführung: Im »Sternengruft«-Zyklus wandelte sich Perry Rhodans Charakter. Er wurde pragmatisch, traf kritisierbare Entscheidungen, machte sich auch mal selber die Hände schmutzig. In diesem Roman denkt er viel nach, über Orpleyd, über das Kosmische, über Gucky, den er verlieren soll und über das, was Bedeutung hat. Als das Catiuphat in KOSH aufgeht, ist sein Verständnis für die Tiuphoren vorbei: Die Manipulation durch die Superintelligenz und ihre Helfershelfer spricht sie nicht frei von Schuld. Als »Massenmörder« verurteilt er sie, als »Verbrecher, die den Krieg zur Kunst um seiner selbst willen erhoben«. Die Grenzen, die ihn als Menschen ausmachen, werden für den Terraner Perry Rhodan wiederhergestellt. Er muss nicht alles verstehen. Er weint weder Tiuphoren noch Gyanli eine Träne nach, eingedenk ihrer Taten.
Damit knüpfen alte und neue Expokraten – Uwe Anton, Christian Montillon und Wim Vandemaan – an das Terraner-Motiv von PR 1000 an, in der das staunende Kind als der wahrhaft kosmische Mensch vor ES tritt. Dass mir das so auffällt, ist reiner Zufall. Ein rosafarbener Zufall, denn im Heft 1000 erhascht der kleine Perry, der zu ES geführt wird, einen Blick auf rosafarbene Maschinen. Dieser halbe Satz fehlt im Silberband und damit auch in der französischen Übersetzung, die ich las und für die ich mir das Heft danebengelegt hatte, weil ich immer eine Anlaufzeit brauche, bis ich in der Fremdsprache lesen kann.
Nun, dieser Satz fehlte. Rosa im Kontext des Jenseitigen, Göttlichen kenne ich von Philip K. Dick und da Uwe Anton ein ziemlicher Experte für diesen Autor ist und wir damals, glaube ich, schon jenes Interview begonnen hatten, das wir für die SOL 87 hoffentlich endlich fertigbekommen, fragte ich ihn nach einem eventuellen Einfluss dieses Autors auf William Voltz. Er hatte die Stelle nie bemerkt, wusste nichts Näheres. Ich schrieb Inge Mahn, der Witwe von William Voltz. Auch sie erinnerte an nichts Näheres als dass ihr Mann mal paar Bücher gelesen hatte und diese Art allgemeiner Übernahme verwendete Voltz ja auch öfter … jedenfalls wurde ich vor diesem Hintergrund sofort hellhörig, als mir die Graffiti-Einschübe auffielen, in 2897 noch als Diskrepanz zur sehr persönlichen Erzählweise Michelle Sterns, im Zyklusfinale dann als genau wie in 1000 funktionierende Ergänzungen, von wo aus ich dann zu 2896 zurückrechnete …
In PR 1000 ergänzte Voltz die zusammenhängende fiktionale Handlung um den Kosmokratenboten Carfesh, ES und den kleinen Perry um eingeschobene Graffiti-Texte, in denen schuldhafte, fehlbare, leidende Menschen – Terraner – schicksalhafte Wendepunkte erleben, während am Schluss das staunende Kind, der unweigerlich offene Erwachsene Perry Rhodan eben »der Terraner« ist, der kosmische Mensch. So spiegelt sich dieVerwendung dieser Technik im Inhalt, und die Anbahnung war in den Exposés verankert, wie die Weiterverwendung von Formalie und Motiv in den umliegenden Romanen auch des neuen Zyklus zeigen.
In diesem Roman umarmt man sich viel und denkt aneinander, weint auch mal. Es ist Sichu, die Guckys Ende verhindert, indem sie, das Licht hochschaltend, in den abgedimmten Hangar stürmt, Pey-Ceyan, die Leccore folgt, Shydaurd, der in Sehnsucht nach seiner wohl schon toten Lebensgefährtin versunken, mit ihrem Namen als Codewort die Selbstzerstörung auslöst, die Pushaitis vernichtet. Am Schluss, im Angesicht des verbliebenen Staubrings um die Materiesenke, nimmt Perry Rhodan seine Sichu in den Arm, erfällt von den Glück, nicht allein zu sein, weil dies das einzige ist, was Bedeutung hat. Es ist ein zutiefst menschlicher Schluss, bei dem Fiktion, Serientradition und Realität sich treffen.
Die eigentliche Handlung ist gut zu lesen, schnell, anschaulich und atmosphärisch dicht. Dabei täuscht die flüssige, angenehme Sprachmelodie ein Stück weit über den Schwierigkeitsgrad des Textes hinweg, den man getrost mehrfach lesen kann, ohne ihn erschöpfend zu kennen. Es tut sich immer wieder noch was bislang Unbemerktes auf und es ist eine Art zu schreiben, die man wohl kaum beherrscht, ehe man 60 wird, weil zu viel Kenntnisse, Übung und Lebenserfahrung drinstecken, als dass man es früher könnte. Und die leicht erschließbaren, flüssig erzählten Episoden stecken voll mit Anspielungen auf den Zyklus, den der Roman abrundet, und Ausblicken auf das Kommende, das, was bleibt, was an diesem Zyklusende nicht ausgedünnt wird.