Roman Schleifer plauderte mit Spiegel-Bestseller Autor Andreas Eschbach über seine akutellen Roman „Eines Menschen Flügel“ und über sein im Oktober erscheinendes Buch „Gliss“. Andres erzählt unter anderem, wie er sich bei einer Idee motiviert, an der er zwanzig Jahre lang schreibt und wie viel Spaß er beim RHODAN Buch wirklich gehabt hat. Und was sein berührendster RHODAN-Moment war, aber auch, worüber er sich bei RHODAN geärgert hat.
Andreas, »Eines Menschen Flügel« ist mit seinen über 1200 Seiten ein ziemlich dicker Wälzer. Wie lange hast du daran geschrieben?
In gewisser Weise zwanzig Jahre. Natürlich nicht am Stück, aber immer mal wieder. Bis ich mir schließlich gesagt habe, »so, jetzt machst du einen Knopf dran und schreibst es vollends zu Ende.«
Wie motivierst du dich über so einen Zeitraum?
Ich musste mich da nicht groß motivieren, das war eine Idee, die mir einfach keine Ruhe gelassen hat. Wann immer mir die Unterlagen dazu in die Hand gefallen sind – ich hatte ein großes, dickes Notizbuch mit Ringbindung, in dem ich nach und nach alles entwickelt habe –, hat mich die Lust gepackt, daran weiterzubasteln. Und wenn Gelegenheit dafür war, hab ich das auch gemacht.
In einem Interview hat du über »eines Menschen Flügel« gesagt: »Am Anfang war dieser Traum von einem jungen Mann, der unbedingt die Sterne sehen will, und sei es nur ein einziges Mal – und diesem Traum bin ich dann behutsam gefolgt, gespannt darauf, wohin er mich führen würde.«
Folgst du diesem Traum in einem Exposé oder erst beim Schreiben?
Da gibt es keine einheitliche Regel. Manche Geschichten brauchen es, dass man sie erst mal von Anfang bis Ende durchdenkt, andere brauchen es, dass man genau das nicht tut, sondern mit dem Strom geht und sich überraschen lässt. Diese Geschichte war eine aus der letzteren Kategorie.
Das erste Kapitel des Buches (exklusive dem Schluss) ist im Jahr 2000 auf Französisch im Begleitband des UTOPIA-Festivals in Nantes erschienen. Und sie hat dich nie mehr losgelassen. Worin lag für dich die Faszination der Storyidee?
Na, hör mal – Menschen mit Flügeln, die richtig fliegen können? Wem man erst erklären muss, was daran faszinierend ist, der … also, für den ist das Buch wahrscheinlich ohnehin nichts.
In einem Interview hat du gesagt: »Ich weiß nicht, wann eine Story so viel Spaß gemacht hat …« Äh … Sag bloß, der RHODAN hat dir nicht Spaß gemacht …
Doch, doch. Der folgt schon auf Platz 2.
Und nun ernsthaft. Wo lag der Spaß bei der Story?
Der Vergleich mit Perry Rhodan ist vielleicht gar nicht so deplatziert, denn ich glaube, das hat mit der »Fülle« zu tun, mit der eine Welt ausgestattet ist. Bei Perry Rhodan bewegen wir uns in einem literarischen Universum, das im Lauf von sechzig Jahren von Dutzenden von Autoren detailreich ausgestaltet worden ist – und bei »Eines Menschen Flügel« konnte ich mich in einer Welt bewegen, die immerhin über zwanzig Jahre hinweg in meiner Vorstellung herangewachsen ist.
Du schreibst jedes Kapitel aus der Perspektive einer anderen Figur – wie ist es dazu gekommen?
Daran habe ich lange herumüberlegt. Üblich wäre ja gewesen, sich vier, fünf Hauptfiguren auszusuchen und die Geschichte abwechselnd aus deren Perspektiven zu erzählen. Aber irgendwie war mir das zu üblich … und schließlich habe ich beschlossen, es anders zu machen. Weil eigentlich diese Welt die Hauptfigur ist, die Welt der geflügelten Menschen, und ich es mir reizvoller vorstellte, sie aus möglichst vielen Perspektiven zu erleben; durchaus auch mal dasselbe Ereignis aus ganz verschiedenen Sichten.
Das hat am Schluss einen etwas »bremsenden« Effekt, weil es die Action immer wieder durchbricht, um sozusagen den Film zurückzuspulen und sich der Gegenwart neu zu nähern … was aber irgendwie auch wieder passt, weil man die Welt ja gar nicht verlassen will. Also, ich jedenfalls wollte das nicht. Kein Wunder also, dass das Buch ein bisschen dicker als üblich wurde.
Im Kern des Buches geht es darum, dass Oris den Ruf seines Vaters wieder herstellen will. Auf dem Weg dorthin deckt er die Geheimnisse seines Volkes auf. Und im Nachspann – viele Jahre später – schenkst du uns auch noch Ironie.
Das ist eine Mischung, die lang im Gedächtnis bleibt. Ist das die Formel für einen Bestseller? Die Hauptfigur hat ein nachvollziehbares Motiv und der Schluss ist ironisch?
Nein, so einfach ist es nicht. Die Formel für einen Bestseller ist, einen Roman zu schreiben, der seine Leser so begeistert, dass sie anderen in den Ohren liegen, ihn auch zu lesen! Wenn man jetzt noch eine Formel wüsste, wie man einen Roman so schreibt, dass er das auslöst …
Im Nachspann schilderst du die Entwicklung viele Jahre nach dem Ende der Hauptstory. Der eine Teil ist richtig traurig … wie gehts dir bei solchen Schlüssen?
Wäre es ein Film, müsste man einen ganz traurigen Blues als Hintergrundmusik einspielen.
Ich darf aus der Rezension von Frau Blum zitieren:
»Wo ein simpler Satz genügen würde, da liefert Andreas Eschbach Poesie. „Das Meer, das ruhig und sattgrün dalag“, reicht nicht. Er zaubert daraus ein „von einer Farbe wie wogendes Moos, gesprenkelt mit hell schimmernden Fetzen kühlen Dunstes, der den Horizont weiß gegen den Himmel verschwimmen ließ.“«
Schüttelst du das aus dem Ärmel oder brütest du eine halbe Stunde über solchen Beschreibungen?
Nein, wenn man eine halbe Stunde dran basteln muss, wird es nix mehr. Das fällt einem entweder gleich ein, oder eben nicht.
Ein Geheimnis ist ungeklärt – was ist der Margor?
Ganz ungeklärt ist das nicht; am Schluss des Buches gibt es zumindest eine kurze Erklärung. Ob die freilich stimmt, ist eine andere Frage.
Die Ideen der meisten deiner Bücher gehen auf Ideen zurück, die du vor Jahrzehnten hattest. Was ist der Grund, dass du sie so lang reifen lässt?
Na, weil sie vorher eben noch unreif sind! Vielversprechend, aber noch nicht so, dass man losschreiben könnte.
Es ist ja mit »der« Idee nicht getan. Um einen Roman schreiben zu können, braucht man ganz viele Ideen zu der ursprünglichen Idee, Hunderte davon. Und bis die sich alle eingefunden haben, das dauert manchmal eben.
Du hast mal gesagt, dass sich der Plot von selbst ergibt, indem du der Geschichte folgst. Wie muss ich mir das vorstellen? Schließt du die Augen, siehst einen Film und schreibst einfach auf, was passiert?
So ähnlich, nur ohne geschlossene Augen. Kann man schwer erklären; es hat etwas von »sich in zwei Universen gleichzeitig befinden«.
Greifst du nachträglich in den Plot ein? Sprich schreibst du bei der Überarbeitung schon mal um?
Ja, kommt vor. Aber ungern. Ich stecke lieber so viel Sorgfalt in die Vorbereitung, dass ich es gleich im ersten Anlauf hinkriege, wie es sein will, und mich bei der Überarbeitung nur noch auf Sprachliches konzentrieren muss.
Dein nächstes Buch »Gliss« ist ein Jugendbuch, oder wie es auf Amazon heißt: »All Age Science Fiction«. Welchen Unterschied zwischen Erwachsenenliteratur und Jugendbuch gilt es für dich als Autor zu beachten?
Im Jugendbuch sind die Helden jünger, meistens sechzehn, und es gibt ein bisschen weniger Gewalt und ein bisschen weniger Sex. Und ein paar Themen gehen eher nicht, weil jugendliche Leser sie zu wenig aus eigener Erfahrung nachvollziehen könnten. Wie es ist, nach zehn Jahren Ehe geschieden zu werden zum Beispiel wäre so ein unpassendes Thema.
Oder, kurz gesagt: Erwachsenenbücher schreibt man für sich selber, Jugendbücher schreibt man für denjenigen, der man mit vierzehn, fünfzehn, sechzehn war.
Der Klappentext von Gliss klingt schon mal interessant:
In ferner Zukunft siedeln Menschen auf einem fernen Planeten, der fast vollständig von einem rätselhaften Material bedeckt ist, auf dem es keine Reibung gibt und auf dem nichts haftet, dem sogenannten Gliss. Wer auf das Gliss gerät und davontreibt, ist verloren. Nur auf der Insel Hope ist es möglich, zu siedeln, Häuser zu errichten und dem fremden Boden Nahrung abzuringen. Da draußen dagegen, in der »Weite«, ist nichts mehr, nur das Gliss.
Zumindest haben Ajit, sein Freund Phil und Majala, in die Ajit heimlich verliebt ist, das so gelernt. Doch dann wird Ajit eines Tages Zeuge, wie ein unbekannter Toter aus der Weite angetrieben kommt – und auf einmal kommt alles in Bewegung, und es gibt kein Halten mehr …
Verrate uns doch ein bisschen mehr …
Es ist ein waschechter Science-Fiction-Roman: Irgendwann jenseits des Jahres, sagen wir, 2400 ist ein Siedlerraumschiff zu einem nahegelegenen Exoplaneten aufgebrochen, und der Roman spielt ein paar Generationen nach der Ankunft. Der Planet ist sehr anders als die Erde – er umkreist seine Sonne, einen roten Zwerg, alle 9,9 Tage und wendet ihr immer dieselbe Seite zu, d.h. man kann überhaupt nur in der Zwielichtzone leben, weil es anderswo entweder zu heiß oder zu kalt ist, es wird nachts nur selten dunkel, und vor allem ist eben der größte Teil des Planeten von einem geheimnisvollen Material bedeckt, dem Gliss, auf dem es keine Reibung gibt: Man kann egal was darauf setzen und ihm einen Schubs geben, dann rutscht es weiter und weiter, so lange, bis es auf ein Hindernis trifft.
Tja, und eines Tages ist Ajit eben Zeuge, wie ein Toter angerutscht kommt, aus einer Richtung, in der angeblich nichts mehr ist. Klar, dass damit das Abenteuer beginnt …
Sehe ich das richtig, dass wir eine Liebesgeschichte serviert bekommen und eine Reise in die Hintergründe einer Zivilisation?
Die Liebesgeschichte ist eher ein Unterton dabei. Im Wesentlichen ist es eine Abenteuergeschichte nach dem Motto »to boldly go where no man has gone before«.
Du hast bei PR ja den seitengewaltigsten Roman der Seriengeschichte geschrieben. Wie stolz bist du darauf, dich derart in die RHODAN-Historie eingetragen zu haben?
Extrem stolz.
RHODAN wird im September 60 Jahre alt und die Redaktion feiert das mit einem Online Jubiläumsabend. Was war dein berührendster RHODAN-Moment?
Oh, da gibt es viele, aber was mir immer wieder einfällt, ist diese Episode um Alaska Saedealere, Callibso und den Zeitbrunnen: Das war ganz großes Kino! Und ich damals wohl auch genau im richtigen Alter dafür …
Worüber ärgerst du dich heute noch in Bezug auf RHODAN?
Die Abschaffung des Siezens in Band 1000, weil es im Deutschen einfach schräg klingt, wenn sich alle duzen. Und die Entvölkerung der Erde im Aphilie-Zyklus, weil es so viel Historie abgeschnitten hat, an die man hätte anknüpfen können.
Was hättest du ganz anders konzipiert?
So manches, aber vor allem wäre Perry Rhodan bei mir nicht tausend Jahre lang Großadministrator geblieben. Ich hätte ihm eine deutlich wechselvollere politische Laufbahn verschafft – mit Abwahlen, vielleicht mal Exil und Verfolgung, dann wieder glanzvolle Wiederwahl und so weiter. Da hat man viel erzählerisches Potenzial verschenkt. Wobei ich zugestehe, dass es anders dem damaligen Publikum wahrscheinlich zu kompliziert gewesen wäre.
Das Solare Imperium irgendwann wieder abgeschafft hätte ich allerdings auch.
Nach dem dicken RHODAN-Wälzer wäre doch auch ein Exposé für eine Miniserie denkbar. Wäre das etwas für dich?
Eher nicht.
Dennoch mal theoretisch: In welcher Zeit würdest du die Handlung der Miniserie ansiedeln? Welche Epoche würde dich reizen?
Wenn, dann würde sie in den tausend Jahren vor Band 400 spielen. In der Ehe zwischen Perry Rhodan und Mory Rhodan-Abro würde es gerade mächtig krieseln, weil sich nach vier-, fünfhundert Jahren einfach eine gewisse Langeweile eingestellt hat. Ohne dass die Öffentlichkeit davon erfahren soll – da die beiden ja für die Verbindung Terra-Plophos stehen, wäre es politisch heikel, wenn das bekannt würde –, gehen die beiden schließlich heimlich zu einem berühmten Ehetherapeuten … doch das stellt sich als Falle heraus; die beiden werden entführt und geraten in ein Abenteuer, in dessen Verlauf sie schließlich wieder zueinander finden.
So ungefähr würde das. Sag selbst: Wer würde das lesen wollen?
Du musst darauf nichts sagen.
(Anmerkung Roman: Also ich würde das sehr wohl lesen!)
Du liest die Erstauflage. Der Chaotarchen-Zyklus ist nunmehr 27 Hefte alt – welche Idee hat dich am meisten begeistert?
Dass es die LEUCHTKRAFT war, die den Chaoporter gerammt und damit gestoppt hat. Yeah, dachte ich, als ich das las.
Wann dürfen wir wieder etwas von dir im RHODAN-Universum lesen?
Also, zum 60jährigen Jubiläum soll es ja was Spezielles geben, zu dem ich einen kurzen Roman beigesteuert habe, da weiß ich aber nicht, was ich darüber schon verraten darf. Und dann hat man mir ja angedroht, dass ich Heft 3199 schreiben müsse; mal sehen, ob es in dieser Hinsicht wirklich zum Äußersten kommt.
Andreas, danke für deine Zeit.
Offizielle Homepage von Andreas Eschbach:
http://www.andreaseschbach.de/
Hie gehts zur offiziellen Seite von „Eines Menschen Flügel“:
https://www.luebbe.de/luebbe-belletristik/buecher/science-fiction-romane/eines-menschen-fluegel/id_8494329
Hier zu „Gliss“:
https://www.arena-verlag.de/artikel/gliss-todliche-weite-978-3-401-80967-0