Makon Dishbar fluchte lautstark, während er zusah, wie die Besatzung der schon zur Hälfte brennenden Zentrale der BRIDGE TO ETERNITY in den Rettungsröhren verschwand oder zum Zentralschacht rannte. Erst als er sicher war, dass auch wirklich alle auf dem Weg nach draußen waren, verschloss er seinen Raumhelm und folgte seiner Crew.
Mit Hilfe einer Space-Jet gelang es, alle im Raum Treibenden einzusammeln und zu sichern. Dishbar ließ Meldung machen und durchzählen. Erleichtert atmete er auf, als ihm gemeldet wurde, dass sich alle hatten retten können. Er schwebte ganz allein, abseits der Crew, an einer Rettungsleine. Hilfe war schon unterwegs, doch bis dahin hatte er noch zu viel Zeit zum Nachdenken. Bilder, gedanklichen Filmen gleich, gingen ihm durch den Kopf und erweckten die Vergangenheit wieder zum Leben.
Terrania, Raumakademie
Es war ein großer Erfolg: Makon hatte es gleich im ersten Anlauf geschafft und war mit seiner Bewerbung erfolgreich gewesen. Jetzt war er ein Raumkadett! Zur Feier des Tages hatte es erst mal Ausgang gegeben, er und einige neue Freunde waren in die Unterhaltungsviertel von Terrania geströmt.
In einem Lokal hatte eine Wahrsagerin ihre Dienste angeboten und einigen der frischgebackenen Raumfahrer eine glänzende Karriere vorausgesagt. Eigentlich wollte Makon keine Vorhersagen über seine Zukunft, doch einer seiner Kameraden nahm seine Hand und gab sie der Wahrsagerin. Die warf nur einen Blick in Makons Hand und ließ sie erschrocken wieder los.
»Bleib auf der Erde, das All wird Dir kein Glück bringen!«
Alle um Makon herum lachten. Er lachte nicht. Erst auf Drängen der Kameraden gab er der Frau ein paar kleine Münzen. Danach eilte sie davon, obwohl noch genug potenzielle Kunden vorhanden waren.
*
Nach dem freien Wochenende war ein erstes Training auf Luna und eine Ausbildungseinheit mit NATHAN angesetzt. Die Fähre zum Mond war kaum gestartet, als die Triebwerke ausfielen. Mit viel Glück und Können legte der Pilot eine Bruchlandung hin, bei der niemand getötet wurde, Makon erlitt nur ein paar Prellungen. Unbewusst musste er an die seltsame Weissagung denken.
Erasleton 3, Eastside
Der Schlachtkreuzer SOCCEROO war in den Grenzbereich zum Einflussgebiet der Blues geschickt worden, um den wachsenden Schmuggel und vor allem die immer gefährlicher werdende Piraterie einzudämmen. Makon war Pilot einer Moskito-Jet und rannte zusammen mit seinem Orter zu den Hangars, als der Alarm ertönte.
Sie hatten sich kaum einsatzbereit gemeldet, als auch schon Order kamen: Am Ort eines Hilferufs hatte die SOCCEROO ein Handelsschiff im Orbit um den Planeten geortet, und daneben ein Piratenschiff, von dem gerade Enterkommandos auf die Beute überwechselten.
Die Jäger wurden ausgeschleust, um die per Funk ergehende Warnung und Aufforderung zur Kapitulation zu unterstreichen. Eine Gruppe Raumjäger, die knapp über das Ziel hinwegjagten, sollte selbst hartgesottene Piraten dazu bringen, sich zu ergeben.
Die Piraten dachten nicht daran, einfach aufzugeben. Ihr Schiff legte einen Alarmstart hin, bei dem vermutlich viele Besatzungsmitglieder auf dem Handelsschiff zurückblieben, und eröffnete das Feuer auf die SOCCEROO.
Makon erschrak, als er sah, mit welch starken Waffen die Piraten feuerten. Wo hatten sie die her? Es gelang ihnen, die SOCCEROO in Schwierigkeiten zu bringen, und sie waren drauf und dran, sich den Weg freizuschießen. Nur hatten sie die Jäger nicht bedacht, die sich zur Unterstützung des Mutterschiffs auf den Piraten-Raumer stürzten.
Wie die anderen Piloten auch eröffnete Makon das Feuer, und in kurzer Zeit brachen die Schutzschirme der Piraten zusammen. Die Jäger erzielten erste direkte Treffer, und es waren Makon und sein Orter, die unter einer Salve der Piraten hinwegtauchten und dann eine Hochenergie-Garbe in die empfindlichen Triebwerke des Gegners setzten.
Trotz der Manövrierunfähigkeit schossen die Piraten weiter, wenn auch schwächer, und jetzt meldete sich auch die SOCCEROO wieder im Kampf zurück. Die Salve, mit der sie den Gegner vernichtete, war wegen Beschädigungen im Feuerleitsystem der SOCCEROO nicht sehr gut gezielt, und so geriet Makons Moskito in den Ausläufer der Salve.
*
Er erwachte auf der Krankenstation der SOCCEROO, umsorgt von einem erleichterten Bordarzt und dessen Helfern. Sein Orter lag im Bett neben ihm, nach Auskunft des Medorobots war er aber auch nicht schwer verletzt.
Als beide wach waren und sich aufatmend angegrinst hatten, nahmen die Mediker Haltung an, denn der Kommandant trat ein. Er deutete Makon und seinem Orter an, liegen zu bleiben, und salutierte beiden. Sichtlich mit den Worten ringend entschuldigte er sich mit hochrotem Kopf für den Abschuss durch das eigene Schiff, er selbst hatte wohl den Befehl zu dem verhängnisvollen Salvenfeuer gegeben. Das war Makon ziemlich egal – er hatte seinen 10. Absturz, Abschuss oder sonstigen Verlust eines Fahrzeugs überlebt. Und musste wieder an die Wahrsagerin denken …
Ulvar 4, Galaktischer Zentrumsbereich
Der Forschungskreuzer IBN BATTUTA hatte im Ulvar-System einen bisher nicht erforschten Planeten mit starker vulkanischer Aktivität entdeckt. Die einzige Erklärung schien eine Art Hyperstrahlung zu sein, die mit den Ausbrüchen einherging.
Als sich das Schiff vorsichtig dem Planeten näherte, fielen die ersten Anlagen an Bord aus. Sofort ließ der Kommandant abdrehen. Mit Hilfe von Sonden fand man heraus, dass die Hyperstrahlung umso stärker reagierte, je stärker die sich nähernden Kraftfelder waren. Die Wissenschaftler errechneten, dass eine Korvette ungefährdet den Planeten erreichen und dort Forschungsteams unterstützen konnte.
Makon war Kommandant der Korvette KIB 2. Vier Forschungsteams mit jeweils einem Shift waren an Bord, als er vorsichtig den Planeten anflog. Es gab einige Schwankungen in den elektrischen Systemen, aber es gelang ihm, die Korvette sicher am Fuß eines inaktiven Vulkans zu landen. Die Shifts schwärmten aus und machten sich an die Arbeit, während sich die Besatzung der Korvette auf eine längere Ruhephase einrichtete.
Doch kaum hatte sich Makon in seine Kabine zurückgezogen, um sich einen Drink und etwas Ruhe zu genehmigen, gellte der Alarm durch das Schiff. Makon rannte zur Zentrale und stolperte hinein, weil die Korvette sich plötzlich schüttelte.
»Was ist los?«, rief er und sprang in den Kommandantensitz.
»Starke Erdbeben, der Vulkan fängt an auszubrechen!«, meldete der Orter.
»Was? Die Geologen haben doch versichert, dass der Vulkan tot ist!«, schrie Makon.
»Der Vulkan scheint anderer Meinung, Kommandant!«, entgegnete der Orter mit besorgter Miene.
»Wo sind die Shifts?«, fragte Makon.
»Der nächste ist zwanzig Kilometer weg«, meldete der Funker.
»Weit genug. Bereit für Notstart?«, rief er alle Stationen ab.
»Jawohl! Bereit! Klar!«, kamen die Antworten.
Makon hieb mit der Faust auf den Notstart-Schalter. Im nächsten Moment war die Zentrale in Finsternis gehüllt, bis die Notstrombatterien übernahmen.
»Schadensbericht?«, fragte er im Licht der Notbeleuchtung.
»Alles außer den Not-Batterien ist ausgefallen!«, rief der 1. Offizier mit Panik in der Stimme.
»Ruhe bewahren! Alle Aggregate überprüfen!«, kam der Befehl.
KLONG!
Die Korvette zitterte und erbebte wie unter einem schweren Schlag.
»Das war wohl ein Gruß vom Vulkan!«, versuchte Makon die Stimmung aufzulockern. Weitere Einschläge machten sein Bemühen aber zunichte.
»Alle Mann Raumanzüge anlegen und in die Zentrale kommen! Hier sind wir am sichersten!«, befahl er.
Bald darauf waren alle in der Zentrale versammelt und lauschten auf die Einschläge. Das Bersten und Splittern von Raumschiffstahl war zu hören, und immer wieder wackelte die Korvette. Einige Besatzungsmitglieder waren der Panik nahe, doch Makon schaffte es, sie halbwegs ruhig zu halten.
Plötzlich ging die normale Beleuchtung wieder an. Die erloschenen Bildschirme schalteten sich wieder ein, als hätte es nie einen Ausfall gegeben. Nur die vielen blinkenden Warnzeigen störten das Bild.
Ohne Befehl verließen erste Besatzungsmitglieder die Zentrale, um auf ihre Stationen zu eilen. Makon nickte anerkennend, seine Leute verstanden ihr Handwerk.
»Schadensmeldung an Kommandant!«, befahl er nach einiger Zeit.
»Alle Triebwerke zerstört oder schwer beschädigt, wir sind nicht flugfähig!«, meldete der Pilot.
»Energie-Aggregate voll funktionsfähig. Schutzschirm nicht, wiederhole nicht möglich, sämtliche Projektoren oberhalb des Ringwulstes ausgefallen«, meldete der Ingenieur.
»Shift 1 an KIB 2 – was ist los bei euch?«, klang es plötzlich aus den Lautsprechern.
»Euer harmloser Vulkan hat uns ganz schön erwischt«, antwortete Makon.
»Ich sehe es – ihr seid fast bis zum Ringwulst mit Geröll bedeckt, und das oberste Drittel ist platt wie eine Flunder!«, sagte der Pilot aufgeregt.
»IBN BATTUTA, Kapitän spricht!«, klang eine neue Stimme auf. »Wir haben euch auf einem Sondenschirm und haben mitgehört. Offenbar ist eine Korvette doch zu groß für den hyperempfindlichen Planeten. Steigt aus, die Shifts sollen euch mindestens fünfzig Kilometer vom Vulkan wegbringen, wir schicken dann eine Jet.«
Das Aussteigen war gar nicht so einfach, die unteren Schleusen waren blockiert und die oberen existierten nicht mehr. Der Ingenieur deaktivierte alle Maschinen, dann waren er und Makon die Letzten, die das Schiff verließen.
Erst jetzt sah Makon das ganze Ausmaß der Katastrophe. Der Shift-Pilot hatte nicht übertrieben. Fast die Hälfte der Korvette war vernichtet, bestimmt 25 Meter. Und das bei seinem 25. Verlust eines Raumfahrzeugs.
Zurück im Jetzt
60! Sechzig! Makon wurde ganz schwarz vor Augen, als er noch einmal und dann noch mehrmals nachrechnete. Es blieb bei 60, und er stöhnte laut auf.
»Alles in Ordnung, Kapitän?«, erklang die besorgte Stimme der 1. Offizierin im Helmfunk.
Makon musste sich dreimal räuspern, ehe er antworten konnte.
»60!«, sagte er.
»Eh – wie bitte, Kapitän?«, ertönte es noch besorgter.
»Brauchen Sie Hilfe?«, mischte sich der Bordarzt ein.
»Nein! Nein, danke!«, sagte Makon, »Nur eine böse Erinnerung. Es wird nicht wieder vorkommen …«
Nein, dachte Makon, es kommt nur einmal vor, dass man zum 60. Mal ein Schiff oder einen Gleiter aufgeben muss oder abgeschossen wird!