Mars, Coprates Rift Valley. »Archäologische Grabungsstätte – Zutritt nur für autorisiertes Personal« stand auf dem projizierten Hologramm und zur Sicherheit auch noch einmal auf einer profanen Schrifttafel. Eine Ertruserin mit bissigem Gesichtsausdruck und der Uniform irgendeines Wachdienstes hatte sich neben dem Eingang aufgepflanzt.
»Soll ich uns reinteleportieren?«, schlug Gucky vor. »Das würde das Verfahren bestimmt abkürzen.«
Perry Rhodan winkte ab. »Wir sind brave Staatsbürger und nehmen den offiziellen Weg.«
»Wie du meinst. Spielverderber.«
Sie traten auf die Wächterin zu. »Guten Tag …«
»Wer seid ihr und was wollt ihr?«, bellte diese sie an.
»Würdest du uns ausreden lassen, hätten wir es dir beinahe erklärt«, krähte Gucky erbost. »Soll ich sie ’ne Runde fliegen lassen, Perry?«
»Lass gut sein. Ich bin Perry Rhodan. Hier ist mein Ausweis.« Er streckte seinen Arm über das Lesegerät, das den ID-Chip erfasste. »Ich bin mit Professor Arne Lindblad verabredet.«
Irgendwo an einem Terminal blinkte etwas Grünes. »Passieren«, knurrte die verhinderte Kriegerin.
»Die Freundlichkeit in Person«, beschwerte sich Gucky, während sie die Kuppel betraten. Der Professor erwartete sie, ein Männlein nicht viel größer als der Mausbiber, mit viel Bart und wenig Haupthaar. So mochten die Kobolde ausgesehen haben, die in terranischen Sagen die Silberminen bevölkert hatten.
»Wir haben manchmal Ärger mit Touristen, Journalisten, Grabräubern und anderen Neugierigen«, entschuldigte sich Lindblad.
»Selber Grabräuber«, feixte Gucky. »Also, Prof, was wolltest du uns zeigen?«
»Wie ihr wisst, wurde schon vor längerer Zeit das Höhlensystem entdeckt, das die Shuwashen hier vor zwei Millionen Jahren angelegt haben. Sie waren auf der Flucht vor ihren eigenen Robotern, die sich gegen sie erhoben hatten, und haben sich auf dem Mars niedergelassen, den sie Lillebo nannten.«
»In der Tat, das wissen wir. Wir waren dabei. Aber es war von neuen Erkenntnissen die Rede.«
»Ja. Wir hatten das Höhlensystem einigermaßen gründlich erforscht, als kürzlich unsere Hohlraumtaster weitere, unzugängliche Kavernen aufspürten. Mit aller Vorsicht haben wir eine Wand mittels Desintegrator Schicht für Schicht abgetragen und sind dahinter auf eine Art Archiv gestoßen.«
»Ein Archiv der Shuwashen?«, vermutete Perry Rhodan.
»Ja und nein. Wie es scheint, haben die Shuwashen ihrerseits Überbleibsel einer noch älteren Kultur gefunden. Diese haben sie untersucht und dabei Aufzeichnungen entdeckt, die sie ausgewertet und hier eingelagert haben.«
»Also ein archiviertes Archiv«, warf Gucky ein.
»Wenn man so will. Jedenfalls haben die Shuwashen uns eine Menge Arbeit bei der Deutung der Dokumente abgenommen. Am besten kommt ihr mit runter, dann seht ihr es selbst.«
In einem Antigravschacht schwebten sie sechzig Meter weit ins Innere des Planeten. »Su-Sai, ich bringe dir die angekündigten Besucher. Perry, Gucky, das ist die Historikerin Su-Sai Ngonbo.«
»Hallo«, sagte Perry Rhodan.
»Hi«, machte Gucky.
Su-Sai war eine hübsche Frau, die den Professor deutlich überragte. Sie war dunkelhäutig, mit einer fülligen Afro-Frisur und großen Ohrringen. Dazu trug sie ein locker fallendes Kleid mit weiten Ärmeln und einem verwirrend bunten Muster. Perry erinnerte sich, so etwas zuletzt in seinen jungen Jahren bei der Hippie-Bewegung gesehen zu haben.
Sie lächelte herzlich. »Willkommen in der tiefsten Vergangenheit, in die noch nie ein Mensch vorgedrungen ist.«
»Das heißt?«
»Professor Lindblad hat mich gebeten, euch unseren Fund möglichst, hm, benutzerfreundlich vorzustellen. Keine langen wissenschaftlichen Vorträge, sondern eine konzentrierte Zusammenfassung.«
»Konzentrierte Zusammenfassungen begrüßen wir sehr«, meinte Gucky.
»Vor allem freut es mich, den berühmten Mausbiber zu meinem Publikum zählen zu dürfen.«
»Publikum. So. Wird das eine Show hier?«
»Ihr müsst wissen«, erklärte Lindblad, »dass Su-Sai nicht nur Historikerin, sondern auch Geschichtenerzählerin ist.«
»Geschichtenerzählerin? Ist das so etwas wie eine Märchentante?«, erkundigte sich der Ilt.
Su-Sai hob eine Augenbraue. Verwundert, tadelnd, indigniert, das war nicht ganz klar, aber Gucky verzichtete darauf, es telepathisch zu untersuchen. »Eine Märchentante liest Märchen aus einem Buch vor«, erklärte sie betont. »Ich erzähle Geschichten.«
»Sie besitzt die Gabe, eine komplette historische Abhandlung in einer Geschichte zusammenzufassen«, ergänzte der Professor.
»Ja, so könnte man sagen«, bestätigte Su-Sai. »Wie ihr wisst, ist es bei vielen Völkern – gerade solchen, die keine Schrift entwickelt haben – üblich, ihre Historie in mündlicher Überlieferung zu tradieren. Von Generation zu Generation, von Mund zu Ohr. Das soll es übrigens auch auf Terra mal gegeben haben. Ich habe drei Jahre bei den Dörern auf Kalus verbracht, wo diese Tradition noch gepflegt wird. Ich durfte bei einem ihrer Geschichtenerzähler in die Lehre gehen. Heute könnte ich euch sämtliche Legenden von Kalus erzählen und die einiger anderer Planeten dazu. Und jetzt soll ich euch die Geschichte der Urmarsianer erzählen.«
»Der Shuwashen? Aber …«
»Nein. Die davor. Vor 60 Millionen Jahren. Sie starben aus, als der Mars sein Magnetfeld und seine Atmosphäre verlor.«
»Also die ganz urigen Marsianer«, witzelte Gucky.
Perry Rhodan hob einen Arm. »Moment. Wir wissen, dass es vor zwei Millionen Jahren zu Raumzeitbeben kam, wodurch der Mars seine Atmosphäre verlor. Der Ritter der Tiefe Permanoch von Tanxbeech evakuierte die Shuwashen daraufhin nach Terra. Dann kann aber die Atmosphäre nicht schon vor 60 Millionen Jahren verloren gegangen sein.«
Professor Lindblad schüttelte den Kopf. »Das widerspricht sich nicht. Vor 60 Millionen Jahren verschwand das Magnetfeld, weil der Planetenkern abkühlte und immer zähflüssiger wurde. So konnte er nicht mehr als Generator wirken. Irgendwann ist dann das Eisen auskristallisiert. Dadurch wurde aber so viel Erstarrungswärme frei, dass der Kern wieder aufschmolz und neue Konvektionen einsetzten, die auch wieder ein Magnetfeld erzeugen konnten. Das mag vor drei oder vier Millionen Jahren der Fall gewesen sein. Daher gab es zur Zeit der Shuwashen wieder ein Magnetfeld und eine Atmosphäre.«
Su-Sai überging die wissenschaftliche Erläuterung mit einem Achselzucken. Das fiel nicht in ihre Zuständigkeit. Stattdessen nahm sie aus einem Regal eine Rolle, auf der ein Plastikstreifen aufgewickelt zu sein schien. »Das ist das, was die Shuwashen gefunden haben. Einen ganzen Stapel solcher Rollen. Ich weiß nicht, ob der Begriff euch etwas sagt – oder doch; dir Perry, sagt er bestimmt etwas. Das musst du noch kennengelernt haben. Es sind Lochstreifen, wie sie vor langer Zeit auch auf Terra einmal als Datenträger gedient haben.«
Perry Rhodan musste schlucken. Lochstreifen. Ja, er erinnerte sich. Baudot-Code, fünf Bit. Die Computer, die den Kurs der STARDUST berechnet hatten, waren noch so programmiert worden.
»Diese hier haben einen 6-Bit-Code«, erläuterte Lindblad. »Das heißt, sechs Löcher nebeneinander ergeben ein Zeichen. Damit sind 2 hoch 6 gleich 64 Kombinationen möglich. Es wurden allerdings nicht alle benutzt. Alle Bits gesetzt, also 111111, kommen nie vor, alle Bits nicht gesetzt, also 000000, auch nicht. Daneben gab es offenbar zwei Codes für Steuerzeichen. Bleiben 60 nutzbare Zeichen.«
»Und diese Dinger haben 60 Millionen Jahre überlebt?«
»Die Leute haben sehr robuste Kunststoffe entwickelt damals. Diese Aufzeichnungen sind wahrlich für die Ewigkeit gemacht. Und man braucht zur Not nicht einmal ein spezielles Lesegerät dafür.«
»Na, die Umwelt wird sich gefreut haben«, meinte Gucky. »Warum liegt dann nicht überall auf dem Mars Plastikmüll rum von damals?«
»Vermutlich lag er mal rum.« Lindblad zuckte mit den Schultern. »Aber wie stabil das Zeug auch sein mag, die UV-Strahlung hat es im Laufe der Jahrmillionen klein gekriegt. Nur hier in den Kavernen ist das Material erhalten geblieben, weil die Strahlung hier nicht hinkam.«
»Wie gesagt, die Shuwashen haben bereits wertvolle Vorarbeit bei der Entschlüsselung geleistet«, ergriff die Historikerin wieder das Wort. »Allerdings sind sie, ebenso wie wir, an Namen und dergleichen gescheitert. Wie es scheint, werden Personen immer mit drei Symbolen bezeichnet. Es ist aber völlig unklar, ob das ein Name oder zum Beispiel ein Dienstgrad oder eine Amtsbezeichnung ist. Ich weiß also auch nicht, wie diese Ur-Ur-Marsianer sich selbst genannt haben. Oder ob das, was ich in meiner Geschichte einen König nenne, wirklich ein König war oder eine Königin oder ein Präsident oder sonst irgendein Oberhäuptling. Mit solchen Mehrdeutigkeiten müssen wir leben.«
»Ach ja. Nun wollen wir aber die Geschichte hören«, erinnerte sich Gucky an das, was man ihnen versprochen hatte.
»Gut. Also setzt euch bequem hin. Ich dimme jetzt die Beleuchtung bis auf diesen einen Strahler hier.«
»Warum?«
»Weil man Geschichten so erzählt. Die Dörer sitzen dabei um ein Lagerfeuer herum, aber das kann ich euch hier leider nicht bieten.« Su-Sai zog ein Stück des Datenträgers von der Rolle. »Diese 60 Meter Lochstreifen erzählen, wenn man so will, das Schicksal eines ganzen Volkes.«
Sie schien sich in Positur zu stellen, atmete einige Male tief, um sich zu konzentrieren, und breitete die Arme aus. Der Schattenwurf durch den Punktstrahler machte daraus eine geradezu magische Geste.
*
»Vor 60 Millionen Jahren lebte einst ein König, der von seinem Volk geliebt wurde, und der sein Volk auch liebte. Ja, einigen waren die Steuern zu hoch, anderen die Löhne zu niedrig, aber im Großen und Ganzen waren alle zufrieden. Doch eines Tages vermeldeten Wissenschaftler eine beunruhigende Neuigkeit: Das Magnetfeld des Planeten wurde schwächer.
Darob entspann sich eine Diskussion im Volk. Diese Erscheinung ist bedrohlich und man muss sie sehr ernst nehmen, so sagten die einen. Das Feld hat schon immer geschwankt, das ist kein Grund zur Aufregung, so sprachen die anderen. Statt vernünftig miteinander zu reden, bezichtigten sich die Vertreter der unterschiedlichen Ansichten gegenseitig der Lüge oder der Panikmache und stießen sogar Morddrohungen gegeneinander aus.
Der König wollte, ehe man Maßnahmen traf, die Entwicklung sorgfältig beobachten. Dazu befahl er, über den Planeten verteilt Messstationen aufzubauen, die den Verlauf des Magnetfeldes genau registrieren sollten.
Aber sobald die ersten Stationen standen, erhob sich ein Murren im Volk. Die Stationen verschandeln die Landschaft, so sagten die einen. Die Radiowellen, die die Daten übertragen, sind gesundheitsschädlich, so sprachen die anderen. Daher stellten sich die Bürger gegen diese Pläne, ja, einige militante Gegner rissen sogar einzelne Stationen ab. Der König liebte sein Volk und wollte keinen Unfrieden. So gab er nach und stoppte das Messprogramm.
Und so verging Jahr um Jahr, und der König starb, und ein anderer trat an seine Stelle. Aber das Magnetfeld sank weiter, und die Weltraumstrahlung und der Sonnenwind, die zuvor durch das Feld abgeschirmt worden waren, wirkten sich allmählich auf das Leben auf dem Planeten aus. Die Strahlung sorgte für vermehrte Krankheitsausbrüche. Der Sonnenwind nagte an der Atmosphäre und erodierte sie, so dass der Planet sie nach und nach verlor. Der neue König ging einen anderen Weg; er unterstützte die pharmazeutische Forschung, und es konnte eine Medizin gegen die Strahlenkrankheit entwickelt werden.
Aber als diese zur Verfügung stand, erhob sich ein Murren im Volk. Das Medikament ist viel zu schnell entwickelt worden, daher kann es nicht sicher sein, so sagten die einen. Die Medizin enthält Psychopharmaka, mit denen die Regierung uns gefügig machen will, so sprachen die anderen. Zudem verbreitete sich das Gerücht, das ganze Problem sei ohnehin nur eine Erfindung der Pharmaindustrie, um sich am Verkauf der Medizin zu bereichern. Folglich nahmen nur wenige das Präparat ein.
Und so verging Jahr um Jahr, und der König starb, und ein anderer trat an seine Stelle. Die dünner werdende Atmosphäre führte dazu, dass Patienten mit Lungenkrankheiten nicht mehr genug Luft bekamen. Sie mussten in Kliniken mit Sauerstoff beatmet werden. Aber die Gesunden merkten nichts davon, weil ihre Lungen sich der dünneren Luft noch anpassen konnten.
Solange die Krankenhäuser nicht überlastet sind, kann man nicht von einem Problem sprechen, so sagten die einen. Diese Leute waren ohnehin krank, so sprachen die anderen. Und so wurde die Gefahr heruntergespielt.
Und so verging Jahr um Jahr, und der König starb, und ein anderer trat an seine Stelle. Der Luftdruck betrug nur noch 60 Prozent des anfänglichen Wertes. Da aber niemand mehr lebte, der die ursprüngliche Atmosphäre noch miterlebt hatte, wurde diese Behauptung der Wissenschaftler angezweifelt. Der Luftdruck ist überhaupt kein sinnvolles Kriterium, er verändert sich mit dem Wetter, so sagten die einen. Die Forscher lügen und haben das nur erfunden, um sich hervorzutun, so sprachen die anderen.
Und so verging Jahr um Jahr, und der König starb, und ein anderer trat an seine Stelle. Die Zunahme von Strahlenschäden war nicht mehr zu übersehen. Die Strahlung kommt nicht aus dem Weltraum, sondern von den Atomkraftwerken, so sagten die einen. Es gibt gar keine Strahlung, die Krankheiten sind psychosomatisch, so sprachen die anderen. Der König rief ein neues Messprogramm ins Leben. Die Strahlungsdetektoren waren inzwischen handlicher geworden und konnten am Körper getragen werden. So sollte die Bevölkerung nun mit Detektoren ausgestattet werden, die die Strahlungsstärke und den Aufenthaltsort protokollierten. Damit sollte nachgewiesen werden, wo die Strahlungswerte besonders hoch waren und ob sie mit Atomkraftwerken zusammenhingen.
Aber als die Geräte verteilt werden sollten, erhob sich ein Murren im Volk. Die Regierung will damit nur die Bewegungen ihrer Bürger ausforschen, so sagten die einen. Die Atomlobby wird die Messergebnisse in ihrem Sinne fälschen, so sprachen die anderen. Daher weigerten sich die meisten, die Geräte zu tragen.
Und so verging Jahr um Jahr, und der König starb, und ein anderer trat an seine Stelle. Der neue König befahl, unterirdische Schutzräume zu bauen, in denen man vor der Strahlung sicher war, egal woher sie stammte. Die Belastung würde sinken, wenn man Teile des Tages dort verbrachte, und zugleich konnten diese Räume mit Sauerstoff versorgt werden. Die Planung sah vor, sie unter Bergen anzulegen, weil dort die Gesteinsschicht ohnehin schon dick war, was die Schutzwirkung verstärkte.
Aber als die Bauarbeiten für die Schutzräume begannen, erhob sich ein Murren im Volk. Die Regierung will uns einsperren, so sagten die einen. Die Bauarbeiten werden zu Einstürzen führen und gefährden unsere an den Berghängen gelegenen Felder, so sprachen die anderen. Protestierende Bürger blockierten die Zufahrten zu den Baustellen. Als Ordnungskräfte die Straßen frei räumen sollten, kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Der Vorwurf des Polizeistaates wurde laut. So gab der König schließlich nach, und die Bauarbeiten wurden eingestellt.
Und so verging Jahr um Jahr, und der König starb, und ein anderer trat an seine Stelle. Wir könnten Magnetfeldgeneratoren aufstellen, um das schwindende Feld des Planeten zu unterstützen, schlugen Wissenschaftler vor. Bei der erforderlichen Anzahl von Generatoren würde es allerdings sehr teuer werden. Der Vorwurf der Steuerverschwendung wurde erhoben. Außerdem wurden Kraftwerke benötigt, um die Generatoren mit Energie zu versorgen. Für Atomkraftwerke gab es von Anfang an keine Mehrheit, wegen der Strahlengefahr. Windkraftanlagen oder Solarzellen wurden als Alternative vorgeschlagen.
Aber als die ersten Anlagen errichtet wurden, erhob sich ein Murren im Volk. Solaranlagen nehmen Platz weg und verschandeln die Landschaft, so sagten die einen. Die Windgeneratoren erzeugen schädlichen Infraschall, und in ihren Rotoren können Vögel zu Tode kommen, so sprachen die anderen. Da wusste der König nicht mehr, was er tun sollte, und dankte ab.
An seine Stelle wählte das Volk einen fortschrittlichen Regenten, der alle Maßnahmen seiner Vorgänger sofort für beendet erklärte und behauptete, dafür seien nun genug Steuergelder vergeudet worden. Ab jetzt sollten alle Bürger wieder ohne Einschränkungen leben wie früher. Die Bevölkerung jubelte ihm zu als ihrem Befreier.
Leider ließ sich das Magnetfeld davon nicht beeindrucken. Es nahm weiterhin ab, die Strahlung nahm zu und der Luftdruck sank. Längst zahlte man auf dem Schwarzmarkt Höchstpreise für Sauerstoff. Den Klagen hierüber verschloss der Regent sein Ohr, denn er leitete selbst ein großes Unternehmen, das Sauerstoff produzierte. Ärzte wurden unter Druck gesetzt, bei Opfern der Strahlenkrankheit »unbekannte Todesursache« zu diagnostizieren. Inzwischen mussten Massengräber ausgehoben werden, um der Leichenflut Herr zu werden.
Und so verging Jahr um Jahr, und der Regent starb, und sein Sohn trat an seine Stelle. Ohne Sauerstoffgerät konnte niemand mehr leben. Die Bevölkerung schrumpfte innerhalb eines Jahrzehnts um 60 Prozent. Aber der neue Regent und seine Vertrauten hatten heimlich vorgesorgt. Die Wohlhabenden zogen sich in private Bunker zurück, in denen sie vor der Strahlung geschützt waren. Die Armen blieben auf der Stecke. Längst war niemand mehr da, der die Leichen von den Straßen räumen konnte.
Da es aber keinen mehr gab, der Felder bestellte und Nahrung produzierte, ereilte schließlich auch die Privilegierten in ihren Bunkern das Schicksal, als ihre gehorteten Vorräte zur Neige gingen. Aus den wenigen noch Lebenden rekrutierten sie private Armeen, die mit schweren Waffen die Bunker der anderen angriffen, und ein blutiger Kampf um das letzte Stück Brot und die letzte Flasche Sauerstoff entbrannte. Aber das beschleunigte nur den Untergang, sie brachten sich schließlich schneller gegenseitig um, als sie hätten verhungern können.
Der letzte Regent verfiel dem Wahnsinn und sprengte sich mit seinem Bunker in die Luft. Die zu diesem Zeitpunkt wirklich schon sehr dünn war. Und so endete die erste Zivilisation auf dem Mars.«
*
Einige Minuten lang saßen alle schweigend da. Sogar Gucky schien recht betroffen zu sein. Dann drehte Su-Sai das Licht wieder heller und holte ihr Publikum in die Gegenwart zurück.
»Eine traurige Geschichte«, gestand Perry Rhodan zu. »Aber sie ist nicht wirklich passiert, oder?«
»Natürlich nicht«, meldete sich Gucky zu Wort. »Wenn der letzte Überlebende sich in die Luft gesprengt hat, wer soll dann die Geschichte aufgeschrieben haben?«
»Ich habe nicht behauptet, dass es so passiert ist«, sagte die Historikerin. »Ich habe nur die Ergebnisse unserer Forschung in einer Geschichte zusammengefasst. Es ist, wenn du so willst, eine Legende. So wie die von Caycon und Raimanja oder die von den zwölf Heroen – oder die vom Retter des Universums.«
»Ich meinte eigentlich etwas anderes«, erklärte Perry. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass eine hochstehende Zivilisation sehenden Auges derart in eine Katastrophe rennt und nichts dagegen unternimmt.«
»Ja, es gibt so vieles, das wir uns nicht vorstellen können«, schloss Su-Sai.
Auf dem Weg nach draußen kehrte Guckys gute Laune allmählich zurück. »Ich würde Su-Sai doch zu gerne mal die Geschichte vom Retter des Universums erzählen hören«, sagte er zu Perry.
»Ach, Kleiner«, murmelte Rhodan und kraulte den Ilt hinterm Ohr.
ENDE