Rhodan im Müll – »Der Zeitgast« von Leo Lukas (PR 2876)

Eben noch – im Vorroman – sah es nach einem zweijährigen Reparaturstopp aus und schon sind wir in der Peripherie der Galaxie Orpleyd. Bisschen schade. Jedenfalls – der Kommandant Maxal Xommot erhält die Meldung, dass etwas nicht stimmt: Orpleyd ist 3000 Lichtjahre von der Stelle entfernt, wo sie sich den Extrapolationen zufolge nach einem Zeitraum von 20 Millionen Jahren befinden müsste. Außerdem rotiert sie zu langsam.

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Interne Spannungen haben sich in den übersprungenen Jahren nicht gelöst: Viele aus der Vergangenheit stammendeTiuphoren misstrauen ihren Artgenossen von der modernen, aus Orpleyd stammenden SHEZZERKUD.

Der Oberbefehl der Flotte ist noch nicht geregelt. Hauptperson dieses Romans ist Cuttra Yass, ein Besatzungsmitglied der CIPPACOTNAL und Bewerber um den vakant gewordenen Posten eines Orakel-Pagen. Er misstraut Taxmapu – der Scheinidentität des Gestaltwandlers Leccore – weil er merkt, dass der falsch riecht und sich seltsam verhält. Seine Vorbehalte bleiben selbst dann noch bestehen, als Taxmapu ihn als Orakel-Pagen auswählt.

Tatsächlich ist Leccore wieder mal dabei, sich in der fremden Identität zu verlieren. Er hat Yass nominiert, weil der junge Tiuphore die beste Wahl war, hat also im Sinne der Tiuphoren gehandelt. Als Taxmapu ist er für die Ausbildung des neuen Orakel-Pagen zuständig. Doch da Kommandant Xommot ihn nötigt, endlich seinen Platz im Orakel-Käfig der Zentrale einzunehmen, muss Leccore den Auszubildenden dem Selbststudium überlassen. Er gibt Yass den Auftrag, die Rückholung von Geistkomponenten aus dem Catiuphat zu erforschen.

Dabei entdeckt Yass  die Leichen Perry Rhodans und Pey-Ceyans. Erstaunt bemerkt er die Parafähigkeit der Larin und den Zellaktivator. Den will er erst für sein Volk, aber dann für sich selber. Doch bis er sich sorgfältig genug vorbereitet hat, um den Chip zu entfernen, wurde das Orakel aufmerksam und ertappt ihn in flagranti. Leccore stellt alles als Bestandteil einer Prüfung hin und als Schachzug, um den jungen Mann für ein wichtiges Projekt zu interessieren, das Unheil vom Catiuphat abzuwenden soll: Es gehe darum, störende Elemente zu extrahieren statt sie durch die Trostreichen – die Wächter – in den äußersten Torus zu verbannen. Die Aussicht auf Ruhm ködert den jungen Mann: Gemeinsam arbeiten die beiden nun an der Rückführung der Bewusstseine in die inzwischen geheilten Körper.

Zeit für den zweiten Handlungsstrang: Perry Rhodan streift in die tieferen Schichten des Catiuphats. Einen Trostreichen überlistet er durch eine Kindheitserinnerung vom Skifahren: die drohende Wurmgestalt schrumpft, er zieht ab. Im dritten Torus fällt er auf, wird attackiert und stürzt ab. Ein Geistwesen namens Advokat mildert seinen Sturz. Es hat keine feste Gestalt, zeigt sich Rhodan meist als

»eine verschneite oder von Raureif überzogene Trauerweide. Tief hängende, zitternde Äste bogen sich bis zum Boden, als wollten sie sich darin verwurzeln. Die Blätter wirkten kristallin. Sie schimmerten rotgolden. Aus dem Stamm schälten sich manchmal annähernd humanoide Umrisse: ein reliefartiger Körper, wie ein grob behauener Holzklotz« (S.28).

Aufregung zeigt es durch sein verzerrtes Holzgesicht und die Bewegung des Blattwerks » von heiterem Rascheln zu anschwellendem Rauschen. Als käme Wind auf.« (S.28). Es erkennt den Nachhall einer »Urkunde« an Rhodan, einen Überrest der Ritteraura, und schlussfolgert, Rhodan sei ein »Gerechter«. Deshalb führt er ihn in den fünften Torus. Obendrein schickt der Advokat ihn auf eine Geistreise in die Vergangenheit – deshalb der Titel – nämlich in die Zeit vor der Erlösung der Tiuphoren von der planetengebundenen Existenz, die ihre Abneigung gegen dieselbe erklärt.

Rhodan findet sich im Körper eines Tiuphoren auf Tiu wieder, der Urheimat des Kriegervolkes. Ihre Welt wird als Müllhalde missbraucht. Eine im giftigen und radioaktiven Abfall dahinvegetierende Tiuphorengruppe flieht, als ein Raumschiff Schrott ablädt, und Rhodan rettet ein kleines Mädchen namens Astirra. Die Gruppe nimmt ihn auf.

Astirras Großvater ist das Orakel Xervan As-Karrok. Er erzählt, wie die Tiuphoren 150 Jahre zuvor die überlichtschnelle Raumfahrt entwickelten und damit die Gyanli anlockten, das sind humanoide Amphibienwesen, die Orpleyd despotisch beherrschen. Besondere Feinde sind der sadistisch veranlagte Koykonol und ein hochrangiger Gyanli namens Ongyand.

Seit der Besetzung ihrer Heimatwelt durch die Gyanli ist das Leben der Tiuphoren erbärmlich: Als Ausweg erscheint eine jenseitige Welt namens Phat. Ihr Mythos besagt, man könne sich nach dem Tod mit Hilfe eines Schamanen mental an den Strukturen eines andersartigen, höheren Raumes festkrallen und somit auf einer geistigen Ebene weiterleben. Das Orakel Xervan As-Karrok prophezeit diesen Schamanen, »Sammler«  genannt, um seiner Gruppe Hoffnung zu geben. Er selbst glaubt nicht daran.

Trotzdem erscheint eines Tages wirklich der Sammler Zimu Miacylloc. Rhodans Gruppe reist mit ihm zur Hauptstadt Tonhuon, um zwei Tiuphoren zu treffen, die ihrem Volk die Rettung bringen sollen: Das alte Orakel Pfaunyc Tomcca und den begnadeten Wissenschaftler Catccor Turrox. Wir Leser lernen die Gyanli kennen: unter einer weichen, folienartigen Umhüllung als Helm lässt sich ein humanoider, kahler, blassblauer Schädel erkennen, den Intarsien aus einem perlmuttähnlichen, farbenprächtig schimmernden Material überziehen. Jede Hand hat vier Finger und zwei Daumen und sie tragen harpunenähnliche Waffen mit Schmerzinduktoren. (vgl. S.57). Es entsteht ein Konflikt, den Rhodan mit Dagor-Kampfkunst löst. Danach wird er mit der Option einer baldigen Fortsetzung der Geistreise vom Advokaten aus dem »Anderswo« entlassen.

Im Abspann – am 27. Juli 1522 NGZ – besprechen Rhodan und Leccore ihre jüngsten Erlebnisse. Die gute Nachricht: Pey-Ceyan lebt wieder in ihrem Körper. Es geht ihr gut und Yass ist bezaubert. Rhodans Geist könnte ebenfalls in seinen Körper zurückgeführt werden. Doch eine Rückkehr ins Catiuphat wäre danach wohl ausgeschlossen. Rhodan bleibt tot: Er will zuerst mehr über die Vergangenheit der Tiuphoren erfahren.

Im Zusammenhang mit der Abbremsung Orpleyds hat Leccore den Begriff »subtemporale Zäsuren« aufgeschnappt. Andere neue Termini sind »Gyan-Operatoren«  für die Statthalter der Gyanli, die Wissen und Technik kontrollieren. Die »Restriktion« der Gyanli reglementiert Wissenschaftler und Intellektuelle aller Völker oder schaltet sie gar aus. Und der Advokat scheint ein »Erratischer« zu sein. Begriffe dieser Art machen viel von der Identität eines Zyklus aus. Zugleich machen sie die Serie für Neuleser so schwer verständlich.

Wie stets, hat Leo Lukas aussagekräftige Kapitelüberschriften und viele Echtweltbezüge eingearbeitet. Auch sein typisches vorangestelltes Zitat, das den zentralen Konflikt des Romans abbildet – hier: große Umwälzungen beginnen im Kleinen – darf nicht fehlen. Über weite Strecken begleiten wir die jeweilige Hauptperson beim Denken, ein bisschen wie im Feuilletonteil einer Zeitung. Das kann gefallen oder ermüden, entspricht jedoch der Isolation, in der sich Rhodans Bewusstsein und der heimlich herumstöbernde Yass befinden. Der Erzählstil unterscheidet sich sehr von dem der Vorromane. Man muss sich einfach drauf einlassen.